Sieben Schicksale in einer Show / Viele skurrile Kandidaten
Offenburger Tageblatt vom 11. Februar 2017
Beim Theater im Gewölbe sitzt man einmal mehr in der ersten Reihe: Die »Show des Lebens« überzeugte bei der Premiere mit Authentizität und einem schrägen Witz. Gesucht wurde das elendigste Leben – und das kann durchaus auch nur in der Innenschau stattfinden.
Am Donnerstagabend ging die »Show des Lebens« auf Sendung: Unter Regie von Miriam Lemdjadi zeigte das Theater im Gewölbe sieben Miniaturen, die sich recht skurril anließen. Mit ihrer Geschichte buhlten die »Kandidaten« um den Sieg – doch die in Szenen arrangierten Monologe aus »Bin nebenan« von Ingrid Lausunds ließen sich kaum vergleichen. Und auch wenn es am Ende das Tüpfelchen auf dem i gewesen wäre, man quasi im Sog der Show darauf gewartet hätte, dass das Publikum abstimmen darf – wen hätte man eigentlich wählen wollen?
»Applaus« stand auf dem Regieschildchen, das nur ein Element war, um dem Publikum im Salmen das Gefühl zu geben, in einer dieser Realityshows zu sitzen. Jeanette (Angelika Rissler) und Jean (Philipp Basler) unterstrichen es auch: Das Moderatorenpaar in goldenen Glitzeranzügen und mit den Federhauben der Gogo-Shows lud so ein wie einst die Conférenciers der weltweit bekannten »Nabelschauen« – nur, dass es in diesem Fall nicht um nackte Haut ging.
Und schon da waren es die Plakate mit Fanbotschaften, die für TV-Show-Atmosphäre sorgte, wenngleich die Zuschauer, die sie hochhielten, die vielleicht ein bisschen verschämt machten.
Leander war der erste Kandidat, der sein elendiges Leben vorstellte – wenngleich es im bürgerlichen Sinn nicht dazu zu zählen scheint. Michael Lauther hatte nämlich ein Luxusproblem zu beschreiben: Geld und Zeit genug, wollte er sich ein neues Sofa kaufen. Doch als »Zielgruppen-Leander« gelang es ihm kaum, Individualität zu verwirklichen. Die hämisch kichernde Marktforschung (der Rest des Ensembles) hatte schon vorgedacht.
Jede Figur individuell
Als Kandidatin trug auch Ariella einen schwarzen Jogginganzug aus Samt. Da die blauen Perücken jede Figur individuell machten, war ihr Haar lang und gelockt. Als Badenixe im heimischen Terracotta-Bad gönnte sie sich sinnliches Vergnügen. Doch Andrea Stamwitz kämpfte auch gegen die Schatten und inneren Stimmen, die das Grauen der Welt mit Übermacht an sie herantrugen.
Ein gut nachvollziehbares Schicksal hatte Sammy vorzuweisen: Ihr Mutter hatte sie abtreiben wollen, sie kam ins Heim, mit Adoptiveltern klappte es nicht – aber jetzt hat sie es geschafft. Trotz ihrer Defizite hat sie einen Beruf, eine eigene Wohnung, die sie sauber hält, und sogar acht Fische. »Es klappt gut mit mir«, drückte Barbara Krehl den Stolz aus, der ihre Figur beseelte.
Großartig entwickelte sich Lisa Irslinger als Susanne: Die saufende Kellnerin in ihrer Miniwohnung hatte ihre Ruhe nur scheinbar in ihrem neuen Freund Karl gefunden, der sie auch mit vier Kilo mehr akzeptierte. Tatsächlich kämpfte sie gegen Rafaels »Jüngstes Gericht« und ihre tote Mutter an: Alles signalisierte der gescheiterten Künstlerin Enttäuschung, sogar die Coach, die ihr beibringen wollte, die Stimme der Mutter zu verdrängen.
So kämpfte jede der Figuren gegen etwas anderes. Walter (Gereon Niekamp) holte sich blaue Flecken mit seiner Firma, für die es keine weiteren Kredite mehr gab, Gundula (Barbara Lampert) bei ihrer türkischen Putzfrau mit und ohne Kopftuch. Abgefahren war Bettina Ragnit als Ann: Ihre innere Einsamkeit tröstete nicht über die vielen Freunde hinweg, die sie hatte. Selbst im Tod vermisste sie das Gefühl, nach Hause zu kommen, so ihre Reflexionen auf dem Weg zum Friedhof zwischen Autobahn und Tiermehlfabrik.
Unterstützt wurde die Show von einem zurückhaltenden Bühnenbild, das mit Projektionen aufgepeppt wurde, und Live-Musiker Alfredo (Joshua Trefzer).
Für das Publikum war es ein gelungener Abend, irgendwie aus dem Leben gegriffen und doch richtig schon weit weg. Beim Premierenapplaus holte es sich auch die Regisseurin auf die Bühne.
◼ Eine weitere Aufführung ist heute, Samstag, um 20 Uhr im Salmen zu sehen.
Text: Bettina Kühne