Amelie von Schoeneich (rechts) kapiert’s nicht. Mitleid mit der trauernden Sigune (Barbara Krehl) ist ihrem Parzival fremd. Foto: ARMIN KRUEGER

Der gute Kern des reinen Tors scheint durch

Veröffentlicht in: Parzival | 0

Kritik in der Badischen Zeitung vom 16.01.2023
von Bernd Grether

Das Theater im Gewölbe bringt die Bearbeitung des Parzival-Stoffs durch Lukas Bärfuss auf die Bühne der Reithalle.

„Ich bin ein Tor geblieben“, erkennt Parzival kurz vor dem Ende seiner blutigen Irrfahrt durch die Gesellschaft. Doch gerade diese Einsicht löst das befreiende Finale aus: Parzival kehrt in die Gralsburg zurück, stellt die erlösende Frage und realisiert so seine Bestimmung, der neue Hüter des Grals zu sein. Das „Theater im Gewölbe“ (ThiG), Offenburgs ältestes Laien-Theater, hat die Bearbeitung des mittelalterlichen Epos durch den hochdekorierten Schweizer Dramatiker Lukas Bärfuss auf die Bühne der Reithalle gebracht.

Es ist eine schwarze Bühne, nur punktuell erhellt und minimal möbliert, denn Parzival gerät in eine düstere Welt, in der Grausamkeit und Sinnlosigkeit dominieren. Seine schonpädagogisch orientierte Mutter (Andrea Stamwitz) hat ihn tölpelhaft bleiben lassen, ihm gar eine Narrenkappe aufgesetzt, damit er nicht das tödliche Schicksal seines Ritter-Vaters erleide. Spaß darf er haben beim Hirsche-Töten, edlere Gefühle werden unterdrückt. Vögel, die das „Gift der Sehnsucht“ nach der Ferne, nach dem Leben draußen erwecken, werden getötet. In der Folge macht der absichtlich dumm und naiv erzogene, aber schöne und starke junge Mann dann natürlich alles falsch. Ständig wird er mit Wörtern und Begriffen konfrontiert, die er mangels Bildung nicht versteht. Er stürzt ein Ehepaar ins Unglück, er kann mit Sigune (Barbara Krehl), die um ihren toten Bräutigam trauert, nicht mit-leiden. Er will Ritter werden – Ritter sind ja die Spitze, die Elite dieser Gesellschaft – , doch am Hof von König Artus (Wolfgang Meyer-Buerdorf) wird er ausgelacht. Die berühmte „Tafelrunde“ ist allerdings nur noch eine Versammlung von bösartigen Trotteln, die zwar das Ritter-Ideal hochhalten, ihm aber längst nicht mehr entsprechen. Fromm, edel, streng, heiter im Gemüt soll der Ritter sein, Abenteuer bestehen, als Sieger Gnade walten lassen. In der Inszenierung des ThiG wird diese Tafelrunde, auch durch die Kostüme, geschlechterübergreifend karikiert.

In einer ausdrucksstarken Szene verflucht Cundrie den ganzen Artus-Hof und Parzival mit seinem „Herz aus Stein“. Parzival killt Ither, den „roten Ritter“, und wird später vom weisen Gurnemanz (Michael Lauther) zu den Werten der Gesellschaft erzogen. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gehören dazu, Ehre, Erkenntnis der Sündhaftigkeit, Gewissen. Vor allem soll der ewig Fragen stellende junge Mann lernen, zu schweigen, zu horchen und erst dann zu reden.

Da Parzival aufgrund seiner falschen Erziehung auch sinnvolle Lehren falsch anwendet, wird ihm das zum Verhängnis. Erst als er Gefühle und Tränen zulässt, lieben und mit-leiden kann, wird er reif für den Gral. „Es ist das Herz, das menschlich macht“, erklärt ihm Sigune einmal. „Ich lerne, ich versuche zu verstehen“, beteuert Parzival, aber das ist nicht einfach in dieser Welt voller Gewalt. Amelie von Schoeneich meistert die Rolle des nur mühsam und schmerzhaft Lernenden bravourös. Sie ist in allen Szenen präsent, versucht, hinter der manchmal durchaus komischen Mischung aus Naivität, Trotzigkeit, Rohheit den „guten Kern“ im Innern durchscheinen zu lassen.

Auch das übrige Ensemble, manche in Mehrfachrollen, die schnelles Umziehen und Sich-Umstellen erfordern, agiert textsicher und überzeugend. Regisseur Christopher Kern will laut Programmheft zeigen, wie die Hauptfigur durch ihren Lernprozess zu sich selbst, zu ihrer inneren Kraft, zu Empathie und Verantwortungsbewusstsein gelangt und so „die taumelnde Welt rettet“. Die Aufführung lässt ein gut unterhaltenes und nachdenkliches Publikum zurück – mit vielen offenen Fragen, die das Gral-Motiv in zeitloser Weise stellt.