Artikel aus der Badische Zeitung vom 22. Oktober 2013
Durch seine Recherchen in Polen und in Ravensbrück hat der Offenburger Hans-
Peter Goergens die Gründe für die KZ-Haft Elsa Santos aus Grafenhausen aufgedeckt.
OFFENBURG. Das mit dem Deutschen Amateurtheaterpreis 2012 ausgezeichnete
Theaterstück „Elsa – Ich darf nicht sprechen“ wird heute, Dienstag, und morgen,
Mittwoch, ein letztes Mal im Offenburger Salmen zu sehen sein. Das Stück der
Offenburger Theatermacherin Annette Müller nach der Lebensgeschichte ihrer
Großmutter Elsa Santo aus Kappel-Grafenhausen basiert teils auf der Familientradition, teils auf aufwändigen Recherchen, welche der 2009 verstorbene Schuttertäler Gerhard Finkbeiner und der Offenburger Hans-Peter Goergens auf sich nahmen. Georgens hat für die BZ das Ergebnis seiner Recherchen zusammengefasst.
WARUM KAM ELSA INS KZ?
Immer wieder wird davon ausgegangen, dass die Liebesbeziehung von Elsa zu dem polnischen Zwangsarbeiter Wladislaw Maslyk der Haftgrund war. Dies war ihr bereits 1946 bei der Antragstellung kurz nach der Rückkehr aus dem KZ Ravensbrück nach Grafenhausen untergeschoben worden, um ihr die Anerkennung als politischen Häftling abzuerkennen. Somit konnte man ihr die Wiedergutmachung verweigern. In mehreren Prozessen wurde dies erfolglos angegriffen. Erfolglos auch deswegen, weil Akten mysteriös verschwanden, versehentlich vernichtet oder verlegt wurden. Wir kennen das aus jüngster Vergangenheit von den NSU-Fällen. Als die Familie den Fall bereits aufgegeben hatte, erklärte ich mich 2006 bereit, ihn nochmals aufleben zu lassen. Ich schaute mir den Lebensweg von Elsa Santo an, ihre Widersetzlichkeit gegen Ehemann und NS-System und insbesondere die Situation in Wlodawa, der Ort, wohin sie geflüchtet war um ihren Geliebten vor der Todesstrafe zu bewahren. Damit ich das alles nachvollziehen konnte, fuhr ich nach Wlodawa und Ravensbrück.
ERLEBNISSE IN POLEN
Elsa floh im Oktober 1942 nach Polen, am 1. März 1943 wurde dort die Tochter Johanna geboren. Nach Wlodawa fuhr sie, weil dort der frühere Bürgermeister von Möhringen, wo Elsa verheiratet war, Gebietshauptmann war. Dieser Beschützer, fiel mit seiner Familie jedoch bald einem Partisanenanschlag zum Opfer. Am 30. März 1943 wurde das Ghetto von Wlodawa aufgelöst und alle Bewohner im nahegelegenen Vernichtungslager Sobibor ermordet. Das bekam Elsa hautnah mit und hat es in Briefen nach Hause berichtet. Diese Briefe gelangten in die Hände der Gestapo. Am 20. Juli 1944 floh Elsa mit ihrer Tochter
vor der herannahenden Front nach Jena. Vermutlich durch Vermittlung eines Herrn Kastner, der ebenfalls in Wlodawa zur Besatzung gehörte, fand sie dort eine Wohnung. Da Elsa nicht gemeldet war, schrieb sie nach Hause und bat um die Übersendung von Lebensmitteln. Dadurch erfuhr die Gestapo ihre Adresse und verhaftete sie am 22. November 1944. Johanna blieb bei der Familie Sichting, wo Elsa wohnte. Herr Kastner vermittelte ihr einen Rechtsanwalt der jedoch zu seinem Bedauern mitteilen musste, dass er bei Gestapohaft keine Rechtsmöglichkeiten habe.
IM KZ RAVENSBRÜCK
Elsa wurde dann in Weimar, Halle und in Berlin verhört und kam als politischer Häftling ins KZ Ravensbrück. Dort wurde sie schwer misshandelt, musste medizinische Versuche über sich ergehen lassen und kam todkrank bei der Auflösung des KZ auf den Todesmarsch. Diesen konnte sie nur überleben, da ihr Emma Fischer aus Ettenheim und eine Frau Waldkircher aus Creglingen das Leben retteten. In Jena wurde sie als Verfolgte des Naziregimes anerkannt und konnte im Januar 1946 wieder nach Grafenhausen zurückkehren. Sie stellte dann in Freiburg den Antrag auf Wiedergutmachung mit den bekannten schlimmen Folgen, dass die Gerichte ihr und ihren Erben die Wiedergutmachung verweigerten.
ZUR SITUATION IN WLODAWA
Wlodawa hatte vermutlich zu Kriegsbeginn rund 18 000 Einwohner, davon rund 70 Prozent Juden. Das Städtchen liegt am Bug am Dreiländereck Polen, Weißrussland, Ukraine. Als die Wehrmacht sich näherten, flohen viele Juden in die Wälder und bildeten mit linken polnischen und sowjetischen Partisanen Kampfeinheiten. Dies ist auch nicht unwichtig, um der Darstellung der polnischen Partisanen in der Filmreihe „unsere Mütter unsere Väter“ nicht unbedingt zu widersprechen, sie aber zu ergänzen. Den Deutschen gelang es durch Versprechungen viele jüdische Partisanen aus den Wäldern zu locken. Schon im April 1942 wurden 800 Juden aus Mielce und 1000 aus Wien ermordet. Ende April 1943 wurden dann alle Ghettobewohner umgebracht. Diese Geschichte in Wlodawa spielt in Claude Lanzmanns Monumentalfilm „Shoa“ ebenfalls eine Rolle. Recherchiert hat dies auch der ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen für seinen Film über den Bug.
DER VERHAFTUNGSGRUND
Im Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelbaden, „Die Ortenau 1991“, untersucht Bernd Boll die Handhabung des Offenburger Landgerichts in Fällen des verbotenen Umgangs deutscher Frauen mit Kriegsgefangenen beziehungsweise Zwangsarbeitern. Denunziert wurde damals ja auf Teufel komm raus. Ich verglich seine Untersuchungen mit einer Untersuchung über die Urteile des Amtsgerichts Oldenburg. Die Frauen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Elsa Santo kam jedoch nicht vor Gericht. Glaubt jemand, die Gestapo verfolgt während des Rückzugs der Wehrmacht eine Frau wegen ihres Umgangs mit einem Polen? Glaubt jemand, sie wird in drei Städten verhört, bevor sie ins
KZ kommt? Der Grund sind ihre Berichte über die Gräueltaten der Besatzer an den Polen und insbesondere den Juden in Wlodawa. Die Nazis wollten nicht, dass dies verbreitet wurde. Diese Argumentation und das Einsehen des Landes Baden-Württemberg, dass Elsa Santo jahrelang Unrecht getan wurde, führte letztendlich zum Abschluss des Verfahrens, nach fast 60 Jahren und über 30 Jahre nach dem Tod der Elsa Santo. Sie starb mit 55 Jahren an den Folgen der KZ-Haft, medizinisch und auch sonst in jeder Beziehung unterversorgt.
DANKSAGUNG
Ich habe das nicht alleine geschafft. Ich recherchierte und schaffte die Fakten herbei, der Rechtsanwalt und SPD-Landtagsabgeordnete Nikolaos Sakellariou vertrat den Fall vor dem Petitionsausschuss, wo der Antrag Jahre zuvor bereits schon einmal gescheitert war. Ob damit Gerechtigkeit geschaffen wurde? Ich weiß es nicht. Was Mutter und Tochter lange Jahre angetan wurde ist damit sicher nicht abgegolten. Für mich ist jedoch auch wichtig, und die Ehre polnischer und sowjetischer Partisanen zumindest in dieser Hinsicht herzustellen. Den Häftlingen des Vernichtungslagers Sobibor gelang es übrigens, nach Überwältigung der Wachmannschaft, sich selbst zu befreien. Dort war ja
auch John Demanjuk beschäftigt, der 2011 vom Landgericht München verurteilt wurde, „Teil der Vernichtungsmaschinerie“ von Sobibor gewesen zu sein. Nach meinem Besuch in Wlodawa konnte ich in einem Beitrag für die Fritz-Bauer-Gesellschaft in Frankfurt auch darlegen, dass John Demanjuk eine Alternative zum Mitmorden gehabt hätte. 25 Prozent dieser ukrainischen KZ-Wächter machten das Morden nicht mit und flüchteten über den Bug ins Partisanengebiet.
Was mir bisher leider nicht gelungen ist, den Tatort der Ermordung von Wladislaw Maslyk und sein Grab zu finden. Zum Abschluss möchte ich betonen, dass ich mich über die Auszeichnung für das Werk von Annette Müller sehr freue, die aus der Arbeit von Gerhard Finkbeiner und auch meinen Recherchen und meinen Ermutigungen ein eindringliches Theaterstück machte.
Der Autor Hans-Peter Goergens (69) war Polizist, später Betriebsrat und Gewerkschafter, ist heute Rentner, Hausmann und europaweit für seine historischen Recherchen unterwegs. Er lebt mit Ehefrau Inge, mit der er zwei Töchter hat, in Offenburg-Rammersweier.
„Elsa – Ich darf nicht sprechen“ in einer Aufführung des Theaters im Gewölbe, ergänzt um jugendliche Darsteller, ist heute, Dienstag, und morgen, Mittwoch, jeweils 20 Uhr im Salmen, Lange Straße 52, zu erleben.
Autor: bz