Artikel aus der Badischen Zeitung vom 6. März 2009
Said Mola inszeniert mit dem Offenburger Theater im Gewölbe Botho Strauß’
„Kaldewey Farce“
OFFENBURG. Botho Strauß gehört zu den wichtigsten deutschen Dramatikern der letzten Jahrzehnte. Sein Drama „Kalldewey Farce“ ist derzeit durch die Offenburger Amateur-Gruppe Theater im Gewölbe zu sehen, unter der Regie von Said Mola, einem der bekanntesten Regisseure der Off-Theaterszene. Premiere war am Samstag im Offenburger Salmen, weitere Aufführungen in Offenburg, Lahr und Achern folgen.
Die Inszenierung geht sparsam mit Requisite und Bühne um. Nur das Nötigste wird verwendet. Szenen und Figuren sind prägnant, allen voran Lynn und Hans, das Paar im Zentrum, ausgezeichnet dargestellt von Andrea Stamwitz und Andree Steinke. Ihre geradezu verzweifelte Suche nach klarer Zugehörigkeit in einem Zeitgeist-Klima, welches das Unverbindliche als bestimmenden Nenner hat, ist halb komisch, halb anrührend, halb erschreckend. Steinke ist die ideale Besetzung für Hans. Er gibt seiner Figur eine kindliche Hilflosigkeit mit, die in markantem Gegensatz zu seiner Körpergröße von 1,90 Meter steht. Hans drängt es nach der Aufmerksamkeit seines Therapeuten, als wäre es Muttermilch. Er begegnet seinen Mörderinnen arglos. Die Ansprüche seiner Freundin Lynn
kann er weder erfüllen noch zurückweisen, da ein klares Ja oder Nein ihn überfordert.
Lynn will Hans als Fixpunkt im „anything goes“ der Zeit. Sie erinnert an die zentralen Frauenfiguren bei Horvath. Die kämpfen um Liebe, Respekt und Selbstbestimmung. Lynns hastig gesprochenes „Küssmichhaltmichliebmich“ scheint hier die Flucht vor dem Zwang zur Selbstbestimmung zu sein.
Im ersten Akt heuert Lynn die radikalen Feministinnen Kattrin und Meret alias Barbara Krehl und Nicole Jendrossek an. Hans hat sie verlassen und angeblich auch geschlagen. In einer grotesken Szene wird Hans umgebracht und zerstückelt. Im nächsten Akt ist er wieder quicklebendig, kommt mit Kattrin und Meret zu Lynns Geburtstagsfeier Geschenke hat niemand dabei.
Einzig Kalldewey (Holger Albrecht), den keiner eingeladen hat, bringt Blumen und Sekt. Während die übrigen Gäste über Obszönitäten eines Films diskutieren, gibt der ungebetene Gast welche von sich: „Kalldewey mit Namen, halt zurück den Samen . . . “ Man verweist ihn des Festes. Kaum ist er fort, weicht die Empörung einer Bewunderung. Man findet ihn interessant, nachdenkenswert und so weiter. Einzig Lynn beharrt auf ihrer Meinung.
In Akt drei warten alle Beteiligten in Nachthemden vor dem Sprechzimmer eines Psychotherapeuten. Den sieht man nie, dennoch ist er der Mittelpunkt. Feminismus, Zweierbeziehung, Sinnsuche, Esoterik, Gesellschaftstheorie, Kindheitsbewältigung, verdummt uns das TV? – alles wird diskutiert, analysiert, teils ironisiert in diesem Stück. Man denkt unweigerlich an Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“, wo in einer entrückt-exemplarischen Gesellschaft die Befindlichkeiten und Theorien jener Zeit besprochen und nicht entschieden werden. „Kalldewey Farce“ tut dasselbe mit den 1970er Jahren. Was bleibt, ist die sprachmächtige Analyse einer Zeit, die Gefühle instrumentalisiert: Man spricht zum Beispiel von „Sinnproduktion“. Eine Zeit, in der keine Erkenntnis Dauer hat: „Jetzt wo ich’s weiß, geht mir die „Weisheit schon entzwei . . . “ Wo nichts wirklich erfreut, nichts wirklich schmerzt, ein „Schick mir das Artischockenrezept“ zum Abschied noch der tiefste Ausdruck von Wehmut ist.
Theater im Gewölbe: „Kalldewey Farce“ von Botho Strauß. Freitag, 6. März, Salmen Offenburg, Samstag 21. März, Illenau Achern, Samstag, 4. April, Schlachthof Lahr.
Autor: Robert Ullmann