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Nach dem KZ ging der Albtraum weiter

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Badische Zeitung vom 06.10.2011

Theatermacherin Annette Müller inszeniert die Geschichte ihrer Großmutter Elsa Santo aus Grafenhausen als Theaterstück.

OFFENBURG. Elsa Santo aus Grafenhausen kam ins Konzentrationslager, weil sie eine Liebesbeziehung zu einem polnischen Zwangsarbeiter unterhielt. „Rassenschande“ nannte man dieses Verbrechen hierzulande zwischen 1933 und 1945. Wladislaw Maslyk, ihr Geliebter und Vater ihrer Tochter Johanna, wurde höchstwahrscheinlich 1943 im Durbacher Wald von einem Offenburger SS-Kommando erschossen.

Rund 70 Jahre nach diesen Ereignissen erzählt ein Theaterstück, das am 13. Oktober im Offenburger Salmensaal Premiere hat, die Geschichte von Elsa Santo, von ihrer Liebe zu Wladislaw Maslyk, ihrer Flucht vor den Nazi-Häschern, ihren Leiden in der Abteilung „medizinische Versuche“ des Konzentrationslagers Ravensbrück und von ihrem zermürbenden und erfolglosen Kampf gegen die Bundesrepublik Deutschland um eine Entschädigung.

Gespielt wird das Stück von 25 Offenburger Schülern aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium, verstärkt durch das Ensemble der Offenburger Amateurtheatergruppe „Theater im Gewölbe“. Für das Buch und die Regie ist Annette Müller verantwortlich, Theaterpädagogin am Staatlichen Schulamt und bekannt durch Projekte mit Kindern und Jugendlichen. Elsa Santo war ihre Großmutter. „Elsa hatte drei Kinder, alles Töchter. Meine Mutter war die mittlere“, erklärt Annette Müller.

Sie habe gewusst, dass ihre Großmutter im KZ war. Aber das sei immer ein wenig diffus behandelt worden in der Familie. Erst vor vier, fünf Jahren habe sie die Geschichte erfahren. Hans-Peter Goergens und der 2009 verstorbene Historiker Gerhard Finkbeiner aus Schweighausen unterstützten sie sehr bei ihren Recherchen: „Sie haben viele Details und Daten zusammengetragen, die sonst verborgen geblieben wären“, so Annette Müller. Sie habe den Wunsch gehabt, diese Geschichte in irgendeiner Form zu erzählen. „Das Theater im Gewölbe, in
dem ich oft mitspiele, war sehr interessiert, und ich wollte das auch mit Jugendlichen machen.“ Unterstützt wird das Projekt durch die Offenburger Sankt-Andreas-Stiftung, den Jugendfonds Ortenau und der Stadt Offenburg.

Das Bühnenbild besteht aus einer Wand aus Koffern. Koffer dienen als Sitzgelegenheiten, als Möbelstücke, werden immerzu über die Bühne getragen – ein Symbol: Wer nicht mit dem Nazi-Regime konform ging, war immer auf der Flucht, in die äußere oder die innere Emigration. Müller entwickelt die von ihr skizzierten Szenen mit der Gruppe zusammen. Die Stationen von Elsa Santos Leben werden chronologisch nachgezeichnet. Sie wirken wie kleine Blitzlichter, die wie im Zeitraffer Situationen aus einer tiefdüsteren Zeit erhellen.

Elsa, Jahrgang 1906, kehrt nach einer gescheiterten Ehe, aus der sie zwei Töchter hat, 1943 nach Grafenhausen zurück. Auf dem elterlichen Hof lernt sie Wladimir Maslyk kennen, der den Santos als Zwangsarbeiter zugeteilt ist, dort aber – entgegen den Nazi-Vorschriften – wie ein Familienangehöriger behandelt wird. Wladimir und Elsa verlieben sich ineinander, sie erwartet ein Kind vom ihm. Um ihren Zustand zu verheimlichen, flieht Elsa nach Polen zu den Eltern ihres
Geliebten, bringt dort ihre Tochter Johanna zur Welt Dennoch wird – durch Denunziation? – alles bekannt, Maslyk wird verhaftet und ermordet. Elsa wird im KZ Ravensbrück zum „Kaninchen“, zum Häftling für medizinische Versuche. Die Experimente mit extremer Hitzeglut und Eiseskälte überlebt sie schwer gezeichnet an Körper und Seele.

Bundesrepublik verweigerte Elsa Santo eine Entschädigung

Eine Entschädigung verweigert ihr die Bundesrepublik Deutschland. Erst vor drei Jahren erhielt ihre Tochter Johanna Maslyk-Santo eine kleine Abfindung – 47 Jahre nach Elsa Santos Tod.

Annette Müller räumt ein, dass dieses Projekt für sie etwas sehr Persönliches ist. Dennoch gehe es ihr nicht darum, zu verurteilen. „Ich will daran erinnern, was geschehen kann, wenn Menschen ihre Verantwortung an eine Obrigkeit abgeben. Meine Großmutter war nur eines von vielen Opfern.“

„ELSA – Ich darf nicht sprechen“ – Ein Stück von Annette Müller nach dem Leben der Elsa Santo. Gespielt vom Theater im Gewölbe in Kooperation mit Offenburger Schulen. Premiere: Donnerstag, 13. Oktober, 20 Uhr, Salmen, Offenburg. Weitere Aufführungen: 14. 10. und 12.11. jeweils Salmen

Autor: Robert Ullmann