Offenburger Tageblatt vom 12.11.2011
In einer emotional bewegenden Collage zeichnet Regisseurin Annette Müller mit dem Theater im Gewölbe das Leben ihrer Großmutter nach. Das Publikum sieht in »Elsa – ich darf nicht sprechen«, wie durch das Regime der Nationalsozialisten ein Leben zerbricht.
OFFENBURG. Alle zwei Jahre spitzt sich das Leben von Elsa Santo noch weiter dramatisch zu. 1929 heiratet sie in Möhringen den Brauer Hans Link (Gereon Niekamp) – sie funktioniert als Ehefrau ganz gut. »Es macht mir Spaß« sagt sie zu der vielen Arbeit, die das Theater im Gewölbe als Massenszene in Schummerlicht darstellt: Wie ein Uhrwerk greift das Ensemble mit immer gleichen Bewegungen ineinander. Doch schon 1937 läuft es nicht mehr rund in der Ehe: Elsa stellt sich in ihrer Wirtsstube gegen die Rassengesetze und plädiert dafür, Zwangsarbeiter menschlich zu behandeln. Die Gäste gehen, der Mann ist erzürnt. Schließlich lauern Denunzianten (Barbara Krehl, Nicole Jendrossek) dem Ehemann Hans Link (Gereon Niekamp) auf. Sie treiben einen Keil in die Ehe, Elsa wird nach Grafenhausen zu den Eltern geschickt. Die Scheidung kommt als Brief – ihre Mutter (Barbara Krehl) liest ihn nochmal vor, weil die Anschuldigungen unglaublich sind: »Posiert« haben soll sie mit anderen Männern. Hier wird eindrucksvoll das Ensemble eingebunden, das bei diesem Projekt aus Schülern von Offenburger Schulen besteht. Erst wispert es durcheinander, es war nur ein Gerücht – und plötzlich sprechen alle gleichzeitig mit einer Stimme. Das Publikum vermag genau zu spüren, wie sich hier der Wind gedreht hat und es für das Opfer kein Entrinnen mehr gibt. Flucht als Rettung Die Situation spitzt sich weiter zu, als Elsa von dem polnischen Zwangsarbeiter Wladislaw (Gordon Jäntsch) ein Kind erwartet. Die Romanze der beiden wird als Video auf den Holztafeln eingespielt, die auf der Bühne gleichzeitig als Zeittafel dienen. Sie muss fliehen, sonst ist das Wladislaws Todesurteil. 1943 bringt sie ihre Tochter Johanna zur Welt – und schreibt an ihre Eltern eindringlich über die Grausamkeiten, die an den Juden begangen werden. 1944 flieht Elsa vor den Russen nach Jena und findet Unterschlupf bei Maria Sichting (Andrea Stamwitz). Sie behält die kleine Johanna, als Elsa ins KZ Ravensbrück deportiert wird. Eine lange Szene im Mittelgang macht die Gräuel dort deutlich: Mit Schlägen, Fußtritten und anderen Tätlichkeiten quälen die Aufseher die Frauen in den gestreiften Häftlingskleidern. Elsa wird für Menschenversuche eingesetzt; später gelingt ihr die Flucht – aber es ist zu spüren, dass es zu spät ist. »Mama, was ist passiert«, möchte Tochter Franziska (Nora Müller) wissen. Aber jetzt schweigt Elsa: »Ich kann nicht reden – sie sind alle noch da.« Tatsächlich waren im Hintergrund die Uniformmützen eingetauscht worden gegen Kopfbedeckungen aus der bürgerlichen Welt. Eine Schluss-Szene voller Symbolkraft. Ausdrucksstarke Szenen.
Die Erwartungen sind hoch, wenn Annette Müller, die sich mit schulischen Großprojekten wie »Romeo und Julia« oder »Die Räuber« einen Namen gemacht hat, ein Stück inszeniert. Mit »Elsa« beweist sie, dass manchmal fühlen mehr ist als reden. Die von ihr gelegten Maßstäbe hat sie mit ihrem Ensemble, das auch bei den Massenszenen ausdrucksstark war, locker erreicht. Eine weitere Aufführung findet heute, Samstag, um 20 Uhr im Salmen statt.
Von Bettina Kühne